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Alma Rosé


   © Wolfgang Wendel

Alma Rosé

Mai 1939: Alma Rosé erreichte zusammen mit ihrem Vater London, einem der wenigen rettenden Orte für Verfolgte aus dem Dritten Reich. Sie waren in Sicherheit, konnten endlich wieder ohne Angst vor Hetze und Diskriminierung leben. Alma Rosé hätte vielleicht wie ihr Bruder Alfred auch einen Weg in die USA gefunden. Oder sie wäre in England geblieben und hätte sich mit irgendwelchen Jobs über Wasser gehalten und einfach nur überlebt. Genau das, was die meisten anderen in dieser Situation getan hatten: Die Chance zu ergreifen, das eigene Leben und das der Familie zu retten, auch wenn das eigene Ideal – vielleicht nur vorübergehend – außer Sicht gerät.

Frankreich Internierungslager Drancy
Frankreich, Internierungslager Drancy, Paris, im August 1941.
© Bundesarchiv, Bild 183-B10919
Doch sie entschied sich anders: Im November 1939, der Zweite Weltkrieg war bereits voll im Gange, ging sie zurück nach Amsterdam. Zurück auf den Kontinent, auf dem die Nationalsozialisten ihr tödliches Vernichtungswerk an den europäischen Juden zu beginnen, die Endlösung. Alma Rosé wusste sehr genau, wie gefährlich ihr Unterfangen war. Sie lebte vor ihrer Flucht in Wien und war dort unmittelbar von den Folgen für die Ausgrenzung der jüdischen Menschen nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich 1938 betroffen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie ein Gleichgewicht zwischen Leben und Musizieren gefunden, trotz aller Schwierigkeiten im privaten Bereich. Sie war eine erfolgreiche Violinistin, hatte ihr Damenensemble „Die Wiener Walzermädel“ sehr erfolgreich seit 1933 geführt und ebenso wie ihr Vater, der Gründer des Rosé-Quartetts, viele Erfolge gefeiert.
Alma und Arnold Rosé
Alma Rosé mit ihrem Vater.
© Wolfgang Wendel

Zitat: „Vielleicht war dies für sie selbst die einzige Möglichkeit, nicht den Verstand zu verlieren. Sie zog uns alle in den Bann ihres Wahns, aus dem Repertoire, das wir spielten, etwas Perfektes zu machen – und gerade damit half sie uns, daß auch wir nicht den Verstand verloren.“

Anita Lasker-Wallfisch: Ihr sollt die Wahrheit erben. Die Cellistin von Auschwitz. Erinnerungen.“, rororo, Reinbek bei Hamburg 2000, S. 131
 „Mai1939“ Auschwitz, Kinderzeichnung, Bild von Wolfgang Wendel

Auschwitz, Kinderzeichnung.
© Wolfgang Wendel

In London im Mai 1939 angekommen, wollte sie weiterhin wie vorher auch ihren Lebensunterhalt und den ihres Vaters mithilfe ihrer Musik finanzieren. Dieses war ihr jedoch in England nicht möglich gewesen, denn sie erhielt für sie nicht im ausreichenden Maß Engagements. Sie setzte also alles in Bewegung, um wieder musizieren zu können. Ihre Idee: Zurück auf den Kontinent, nach Amsterdam; denn dort gab es Auftrittsmöglichkeiten für sie. Die Möglichkeit zur Rückkehr nach London innerhalb von fünf Monaten war ihr zugesichert worden. Sie wollte unbedingt musizieren, um ihren Unterhalt mit ihrer Geige zu verdienen. Sie sah keine andere Möglichkeit als diesen gefährlichen Weg, um in ihrer Welt der Musik zu bleiben. Denn sie lebte Musik. Ihre Liebe zur Musik, ihr Drang zu musizieren setzte sie über ihr eigenes Leben.
Alma Rosé.
© Wolfgang Wendel

Zur Person:

Wer war Alma Rosé?

Alma Rosé, die Nichte von Gustav Mahler, die den Vornamen seiner Frau Alma trägt, ist geboren am 3. November 1906 in Wien. Ihr Vater Arnold Rosé war der Gründer des Rosé-Quartetts, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts sehr erfolgreich war. Alma Rosé wuchs also in einer musikalisch führenden Wiener Familie auf. Dies bedeutet einen fast täglichen und dadurch wie selbstverständlichen Umgang mit großen Persönlichkeiten der Wiener Gesellschaft, vor allem der Musiker, Dirigenten und Komponisten, sowie ein großes Repertoire an musikalischem Wissen und Kenntnissen. Sie war sich Zeit ihres Lebens der Verantwortung bewusst, mit der sie ihre musikalische Begabung verband. Sie wollte genauso wie ihr Vater und ihr Onkel ihr Talent auf höchstem Niveau der Gesellschaft präsentieren.

1927 lernte sie den tschechischen Musiker Váša Pŕíhoda kennen und verliebte sich in ihn. Die beiden heirateten am 16. September 1930. Váša Pŕíhoda verdiente als Violinvirtuose so gut, dass er eine große Villa in Zariby an der Elbe bauen ließ, in der er mit seiner Frau Alma und seinen Eltern wohnen konnte. Trotz der gemeinsamen Liebe zur Musik und zum Musizieren lebte sich das Paar bald auseinander und ging getrennte Wege. Der logische Schritt war die Scheidung, die 1936 erfolgte.

1933, im Jahr der Machtergreifung Adolf Hitlers in Deutschland, gründete Alma Rosé ein Ensemble, das nur aus jungen Frauen bestand und nannte es „Wiener Walzermädel“. Mit diesem Frauenorchester ging sie erfolgreich quer durch Europa auf Tournee.

Mit der Machtübernahme Hitlers 1933 und dem Einmarsch in Österreich 1938 änderte sich für die Familie Rosé wie auch für jede andere jüdische Familie das Leben aufgrund der Rassenpolitik der Nationalsozialisten radikal: Ein normales bürgerliches Leben wurde unmöglich, sie wurden vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen, diskriminiert und verfolgt. Viele jüdische Künstler, so auch die Familie Rosé, konnten sich nicht vorstellen, mit welcher gnadenlosen Vehemenz und brutaler Konsequenz die Nationalsozialisten nicht nur in Deutschland, sondern auch in denen von ihnen besetzten Ländern ihre politischen Vorstellungen durchsetzten. Es lag außerhalb jeder Imagination, dass es per Gesetz jüdischen Musikerinnen und Musikern vorgeschrieben wurde, welche Werke sie spielen durften, nämlich nur noch Werke jüdischer Komponisten. Der einzige Grund: Sie waren jüdischen Glaubens. Es gab viele weitere Verbote für Menschen jüdischen Glaubens, die letztendlich die Diskriminierung, physische und psychische Vernichtung bedeuteten. Die systematische Deportation und fabrikmäßige Ermordung von Menschen war und ist etwas Ungeheuerliches, Undenkbares, Unfassbares und Unentschuldbares.

Alma Rosé mit ihrem Ehemann Vasa Prihoda 1930.
© Wolfgang Wendel

Alma Rosé dirigiert in Auschwitz

Alma Rosé dirigiert das Mädchenorchester in Auschwitz.
© Wolfgang Wendel

Ein weiterer persönlicher Schicksalsschlag war der Tod von Justine Rosé, der Mutter von Alma Rosé, die nach langer Krankheit am 22. August 1938 verstarb.

Das Schicksal von Alma Rosé ist einzigartig. Sie war zusammen mit ihrem Vater im Frühjahr 1939 nach London emigriert. Ihr Vater blieb dort und war in Sicherheit. Er überlebte.

In England war es ihr und ihrem Vater allerdings nicht möglich, ihren Beruf als Musiker auszuüben. Besessen von dem Wunsch musizieren zu können, ging sie im November 1939 nach Amsterdam, denn von dort hatte sie Auftrittsangebote erhalten. Zunächst schaffte sie es, mithilfe ihres Berufes als Musikerin und Dirigentin Geld zu verdienen und ihren Vater in London finanziell zu unterstützen. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und der Überfall auf die Niederlande veränderten ihr Leben wiederum dramatisch. Nach dem Einmarsch der Deutschen und der Okkupation der Niederlande 1940 wurde ihre Lage sehr kompliziert.

Schließlich versuchte sie in die Schweiz zu fliehen, sie wurde auf der Flucht dorthin jedoch am 19. Dezember 1942 in Dijon (Frankreich) verhaftet, im Lager Drancy bei Paris interniert und von dort am 18. Juli 1943 nach Ausschwitz-Birkenau deportiert. Dort wurde sie von der Lagerkommandantur zur Leiterin des Mädchenorchesters bestimmt und ermöglichte so vielen anderen Lagerinsassinnen, darunter Anita Lasker-Wallfisch und Esther Bejerano, das Überleben. Sie war geradezu besessen und spornte damit alle diejenigen, die mit ihr musizierten und arbeiteten, zu Höchstleistungen an. Auch in Auschwitz. In dem Vernichtungslager, in dem der Tod ständig und überall präsent war, durch den Geruch verbrannten Menschenfleisches, durch die rußgeschwängerte Luft, durch die Geräusche, durch den Stacheldraht, die Scheinwerfer, die Schreie des Wachpersonals. Alma Rosé war in dieser lebensfeindlichen Umgebung fähig, ihre Musikerinnen in ihr Reich der Musik zu ziehen und ihnen so das Überleben zu sichern.

Sie wusste und spürte instinktiv, dass nur das Musizieren auf höchstem Niveau ihren Musikerinnen das Überleben möglich machen wird: Eine Meisterleistung unter diesen Bedingungen sich der Musik hingeben zu können, Bach oder Mozart zu spielen in einer wahrhaft menschenverachtenden Hölle.

Wirklich erstaunlich ist das „Mitleid“ des Wachpersonals mit den Instrumenten, für die ein Ofen genehmigt wurde. Begründung: Die Instrumente leiden zu sehr unter der Kälte. Wohlgemerkt: Die Instrumente, nicht die Menschen.

Sie selbst überlebte diese Hölle nicht. Die unmenschlichen Lagerbedingungen kosteten Alma Rosé das Leben: Nach einem Konzert mit ihrem Orchester sollte sie am 3. April 1944 eine Feier des Wachpersonals mit ihrem Geigenspiel begleiten. Was sie dort zu sich genommen hat, ist nicht überliefert. Es ist nur bekannt, dass sie unmittelbar nach diesem Abend erkrankte. Sie verstarb am 4. April 1944.

Ihr Vater überlebte in England den Krieg, erlebte den Untergang Nazi-Deutschlands. Anita Lasker-Wallfisch hatte ihn kurz vor seinem Tod noch besucht. Sie konnte ihm von der ungeheuren Leistung seiner Tochter erzählen und ihm berichten, dass seine Tochter Alma nicht im Gas umkam. Er starb am 25. August 1946 in London.

Im Gegensatz zu anderen Musikern aus dieser Zeit ist von Alma Rosé nur eine einzige Aufnahme aus dem Jahr 1928 überliefert: Sie spielt zusammen mit ihrem Vater das Doppelkonzert d-moll von Johann Sebastian Bach, BWV 1043.

Alma Rosé Sonntagskonzert demoiré

Sonntagskonzert in Auschwitz
© Wolfgang Wendel, Karlsruhe

Statement

Bei jeder Form von Diskriminierung, Diffamierung oder Beleidigung aufgrund von Herkunft, Geschlecht, Alter, Religion, Einkommen oder sexueller Orientierungsowie bei persönlichen Angriffen werden sofort die geeigneten rechtlichen Schritte ergriffen.

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